Ein digitaler Zwilling ist ein virtuelles Modell, das ein physisches Objekt präzise widerspiegeln soll. Das untersuchte Objekt – zum Beispiel eine Windkraftanlage – ist mit verschiedenen Sensoren ausgestattet, die sich auf wichtige Funktionsbereiche beziehen. Diese Sensoren liefern Daten über verschiedene Leistungsaspekte des physischen Objekts wie Energieabgabe, Temperatur, Wetterbedingungen und vieles mehr. Diese Daten werden anschließend an ein Verarbeitungssystem weitergeleitet und auf die digitale Kopie übertragen.
Sobald das virtuelle Modell mit diesen Daten gefüttert worden ist, kann es eingesetzt werden, um Simulationen durchzuführen, Leistungsprobleme zu untersuchen und Optimierungsmöglichkeiten zur Gewinnung wichtiger Erkenntnisse zu generieren. Diese können daraufhin wiederum für das ursprüngliche physische Objekt verwendet werden.
Zwar werden sowohl bei Simulationen als auch bei digitalen Zwillingen digitale Modelle eingesetzt, um verschiedene Prozesse eines Systems zu replizieren, bei einem digitalen Zwilling handelt es sich jedoch um eine digitale Umgebung, die für Studienzwecke wesentlich umfangreichere Informationen liefert. Der Unterschied zwischen digitalem Zwilling und Simulation bezieht sich hauptsächlich auf den Leistungsumfang: Während eine Simulation in der Regel einen normalen Prozess untersucht, kann ein digitaler Zwilling selbst eine beliebige Anzahl von Simulationen durchführen und dabei mehrere Prozesse untersuchen.
Aber das ist noch nicht alles. Echtzeitdaten sind für Simulationen in der Regel nicht von Vorteil. Digitale Zwillinge sind jedoch auf einen bidirektionalen Informationsfluss ausgerichtet. Dieser beginnt, wenn Objektsensoren relevante Daten an den Systemprozessor liefern und wiederholt sich, sobald die vom Prozessor gewonnenen Erkenntnisse an das ursprüngliche Quellobjekt zurückgegeben werden.
Durch bessere und laufend aktualisierte Daten über eine Vielzahl von Bereichen sowie zusätzliche Rechenleistung, die mit einer virtuellen Umgebung einhergeht, sind digitale Zwillinge in der Lage, viel mehr Probleme aus weitaus mehr Blickwinkeln zu untersuchen als Standardsimulationen es vermögen. Zudem ist das Potenzial zur Verbesserung von Produkten und Prozessen deutlich höher.
Abhängig vom Umfang der Detaillierung gibt es verschiedene Arten von digitalen Zwillingen. Der größte Unterschied zwischen diesen Zwillingen liegt im Bereich der Anwendung. Es ist üblich, dass verschiedene Arten von digitalen Zwillingen innerhalb eines Systems oder Prozesses gleichzeitig eingesetzt werden. Sehen wir uns die verschiedenen Arten von digitalen Zwillingen sowie ihre Unterschiede und Anwendungsbereiche genauer an.
Komponentenzwillinge bilden die Grundeinheit eines digitalen Zwillings, dem kleinsten Beispiel für eine Funktionskomponente. Teilzwillinge sind ähnlich strukturiert, beziehen sich aber auf weniger bedeutende Komponenten.
Wenn zwei oder mehr Komponenten zusammenarbeiten, bilden sie ein sogenanntes Asset. Mit Asset-Zwillingen lässt sich die Interaktion dieser Komponenten untersuchen und eine große Menge von Leistungsdaten erstellen, die verarbeitet und in verwertbare Erkenntnisse umgewandelt werden können.
Die nächste Vergrößerungsstufe bezieht sich auf System- oder Unit-Zwillinge, mit denen verfolgt werden kann, wie verschiedene Assets ein funktionierendes Gesamtsystem bilden. System-Zwillinge spiegeln die Interaktionen von Assets transparent wider und können Vorschläge zur Leistungsverbesserung machen.
Prozess-Zwillinge, die Makroebene der Detaillierung, decken auf, wie Systeme zusammenarbeiten, um eine vollständige Produktionsanlage zu schaffen. Sind diese Systeme synchronisiert und arbeiten mit maximaler Effizienz oder haben Verzögerungen im System Auswirkungen auf andere Systeme? Prozess-Zwillinge können dabei helfen, exakte Zeitpläne zu bestimmen, die letztendlich die Gesamteffektivität beeinflussen.
Die Idee zur digitalen Zwillingstechnologie wurde erstmals 1991 durch die Publikation Mirror Worlds von David Gelernter bekannt. Dr. Michael Grieves (damals Dozent an der University of Michigan) wird jedoch zugeschrieben, das Konzept der digitalen Zwillinge 2002 erstmals auf die Fertigung angewendet und das Softwarekonzept des digitalen Zwillings formell proklamiert zu haben. Schließlich führte John Vickers von der NASA im Jahr 2010 einen neuen Begriff ein – den „digitalen Zwilling“.
Die Kernidee, einen digitalen Zwilling als Mittel zur Untersuchung eines physischen Objekts einzusetzen, lässt sich jedoch schon viel früher beobachten. Tatsächlich kann zu Recht behauptet werden, dass die NASA während ihrer Weltraumforschungsmissionen in den 1960er-Jahren Pionierarbeit in der Verwendung der digitalen Zwillingstechnologie geleistet hat, als jedes im Weltraum eingesetzte Raumschiff in einer Version auf der Erde exakt nachgebildet wurde, die von Flugbesatzungen der NASA zu Lern- und Simulationszwecken verwendet wurden.
Verbesserung in F&E
Der Einsatz digitaler Zwillinge ermöglicht eine effektivere Forschung und Gestaltung von Produkten und erstellt eine Fülle an Daten über wahrscheinliche Leistungsergebnisse. Diese Informationen können zu Erkenntnissen führen, die Unternehmen dabei helfen, noch vor Produktionsbeginn erforderliche Produktverbesserungen vorzunehmen.
Effizienzsteigerung
Auch nachdem ein Produkt in Produktion gegangen ist, können digitale Zwillinge dabei helfen, Produktionssystem zu spiegeln und zu überwachen, um während des gesamten Herstellungsprozesses maximale Effizienz zu erreichen und aufrechtzuerhalten.
Produktlebenszyklus
Digitale Zwillinge können Herstellern sogar bei der Entscheidungsfindung helfen, was mit Produkten geschehen soll, die das Ende ihres Lebenszyklus erreicht haben und durch Recycling oder mithilfe anderer Maßnahmen weiterverarbeitet werden müssen. Durch den Einsatz von digitalen Zwillingen können sie bestimmen, welche Materialien wiederverwertet werden können.
Digitale Zwillinge werden zwar für das geschätzt, was sie leisten können, ihre Verwendung ist jedoch nicht für jeden Hersteller oder jedes Produkt geeignet. Nicht jedes Objekt ist komplex genug, dass es einen so intensiven und beständig fließenden Sensordatenfluss benötigt, wie er für digitale Zwillinge erforderlich ist. Darüber hinaus ist es auch aus finanzieller Sicht nicht immer lohnenswert, einen digitalen Zwilling zu erstellen. (Es ist zu berücksichtigen, dass es sich bei einem digitalen Zwilling um eine genaue Reproduktion eines physischen Objekts handelt, was seine Erstellung sehr kostenintensiv machen könnte.)
Andererseits profitieren zahlreiche Arten von Projekten von genau solch einer Verwendung digitaler Modelle:
Daher sind Branchen, die die größten Erfolge mit digitalen Zwillingen erzielen, jene mit großangelegten Produkten oder Projekten:
Digitale Zwillinge: Ein Wachstumsmarkt
Der schnell wachsende Markt für digitale Zwillinge ist Beweis dafür, dass sie bereits in vielen Branchen eingesetzt werden, die Nachfrage jedoch noch über einen längeren Zeitraum hinweg stark steigen wird. Im Jahr 2020 wurde der Markt für digitale Zwillinge mit 3,1 Milliarden USD bewertet. Einige Branchenanalysten spekulieren, dass er bis mindestens 2026 auf einen geschätzten Wert von 48,2 Milliarden USD weiter wachsen könnte1.
Die End-to-End-Anwendung von digitalen Zwillingen ermöglicht Eigentümern/Betreibern, Ausfallzeiten von Anlagen zu reduzieren und gleichzeitig die Produktion zu steigern. Entdecken Sie die Lösungen für das Service Lifecycle Management von IBM und Siemens.
Digitale Zwillinge kommen bereits in folgenden Anwendungen umfassend zum Einsatz:
Große Triebwerke – einschließlich Düsentriebwerke, Lokomotiven und Turbinen zur Stromerzeugung – profitieren enorm vom Einsatz digitaler Zwillinge, insbesondere bei der Terminierung von regelmäßig erforderlichen Wartungsarbeiten.
Große physische Bauten wie große Gebäude oder Offshore-Bohrplattformen können mithilfe digitaler Zwillinge optimiert werden, insbesondere während ihrer Planungsphase. Auch bei der Planung von Systemen, die innerhalb dieser Strukturen operieren, erweist sich dies als nützlich, z. B. für HLK-Systeme.
Da digitale Zwillinge den gesamten Lebenszyklus widerspiegeln sollen, ist es nicht weiter verwunderlich, dass sie in allen Phasen der Herstellung allgegenwärtig geworden sind und Produkte vom Entwurf bis zur Fertigung als auch bei allen Zwischenschritten begleiten.
Genau wie Produkte durch den Einsatz von digitalen Zwillingen profiliert werden können, ist dies ebenso für Patienten möglich, die Gesundheitsdienstleistungen erhalten. Dasselbe System sensorgenerierter Daten kann verwendet werden, um eine Vielzahl von Gesundheitsindikatoren zu verfolgen und wichtige Erkenntnisse zu gewinnen.
Autos stellen viele Arten von komplexen, kooperierenden Systemen dar, wobei digitale Zwillinge in großem Umfang im Autodesign zum Einsatz kommen, um sowohl die Fahrzeugleistung als auch die Effizienz rund um die Autoproduktion zu steigern.
Bauingenieure und andere an der Stadtplanung Beteiligte erhalten durch den Einsatz digitaler Zwillinge erhebliche Unterstützung bei der Anzeige räumlicher 3D- und 4D-Daten in Echtzeit und der Integration von Augmented-Reality-Systemen in bereits bestehende Umgebungen.
Offensichtlich vollzieht sich derzeit ein grundlegender Wandel bei bestehenden Betriebsmodellen. In anlagenintensiven Branchen findet eine digitale Neuerfindung statt, die Betriebsmodelle auf grundlegende Weise verändert und eine integrierte physische und digitale Sicht auf Anlagen, Ausrüstung, Einrichtungen und Prozesse erfordert. Digitale Zwillinge sind ein wesentlicher Bestandteil dieser Neuausrichtung.
Die Zukunft digitaler Zwillinge ist nahezu grenzenlos, da eine immer weiter wachsende Menge an kognitiver Leistung für ihren Einsatz bereitgestellt wird. Digitale Zwillinge lernen also fortlaufend neue Fähigkeiten und Fertigkeiten dazu, was bedeutet, dass sie auch weiterhin die Erkenntnisse liefern können, die für die Optimierung der Produktverbesserung und Prozesseffizienz erforderlich sind.
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1 „Digital Twin Market worth 48.2 billion USD by 2026 (Link außerhalb von ibm.com),“, Aashish Mehra, Markets and Markets